Bilanzierung erhaltener Anzahlungen auf Bestellungen

Bilanzierende Kaufleute insbesondere der Bauwirtschaft und des Anlagenbaus werden das Wahlrecht des § 268 Abs. 5 Satz 2 HGB kennen, die erhaltenen Anzahlungen auf Bestellungen wahlweise gesondert innerhalb der Verbindlichkeiten auszuweisen oder aber von den Vorräten (unfertige Erzeugnisse / unfertige Leistungen) offen abzusetzen.

Die offene Saldierung auf der Aktivseite mag in vielen Fällen dem Zweck dienen, die Bilanzsumme möglichst gering zu halten, um nach den Größenkriterien des § 267 HGB nicht in die nächsthöhere Größenklasse „aufzusteigen“, um den damit verbundenen zusätzlichen Pflichten (beispielsweise Erstellung eines Lageberichtes und Pflichtprüfung des Jahresabschlusses sowie Ausweis sämtlicher Positionen der Gewinn- und Verlustrechnung und nicht mehr nur der Position Rohergebnis) zu entgehen.

Ein anderer Grund dieser offenen Saldierung ist aber bei vielen Kaufleuten auch die Absicht, im offenzulegenden Jahresabschluss (im elektronischen Bundesanzeiger) nur das gesetzlich vorgeschriebene Minimum an Informationen preiszugeben. Möglicherweise sollen durch die offene Saldierung auch bestimmte bilanzpolitische Kennzahlen (Eigenkapitalquote und Verschuldungsgrad) positiv beeinflusst werden.

Die beiden letztgenannten Absichten werden aber regelmäßig durch die offene Saldierung nicht erreicht bzw. zum Teil sogar konterkariert:

Vielfach übersehen oder falsch interpretiert wird der Passus „von den Vorräten offen absetzen“ des § 268 Abs. 5 Satz 2 HGB. Es handelt sich nicht etwa um eine für den Bilanzleser nicht mehr ersichtliche Saldierung von Verbindlichkeiten und Vermögensgegenständen (eine solche Saldierung ist nach den Vorschriften des HGB ohnehin verboten – § 246 Abs. 2 HGB). Vielmehr sind die erhaltenen Anzahlungen offen und für jedermann ersichtlich von den Vorräten abzusetzen. Der Informationsgehalt der Bilanz wird durch die offene Saldierung nicht verringert: In beiden Variationen sind Umfang und Höhe sowohl der unfertigen Erzeugnisse / unfertigen Leistungen als auch der erhaltenen Anzahlungen aus dem Jahresabschluss ersichtlich.

Wer gleichwohl eine „verdeckte“ Saldierung vornimmt und damit gegen § 246 Abs. 2 HGB verstößt, macht sich sowohl gem. § 283 b Abs. 1 Nr. 3 a StGB als auch nach § 331 Nr. 1 HGB strafbar.

Die offene Saldierung des § 268 Abs. 5 Satz 2 HGB führt im Ergebnis bei nahezu allen Kreditinstituten dazu, dass diese offene Saldierung wieder „storniert“ wird: Eigenkapitalquote und Verschuldungsgrad werden derart berechnet, als wäre kein offener Abzug der erhaltenen Anzahlungen von den Vorräten vorgenommen worden.

Noch gravierender sind die Auswirkungen der offenen Saldierung für kleine und mittelgroße Kapitalgesellschaften und Kapitalgesellschaften & Co. KG’s im Rahmen der Offenlegung des Jahresabschlusses im elektronischen Bundesanzeiger: Bei unsaldiertem Bilanzausweis werden lediglich die Aktivposition B. I. Vorräte und die Passivposition C. Verbindlichkeiten der Bilanz ausgewiesen. Der Bilanzleser erhält keinerlei Informationen über im Jahresabschluss enthaltene unfertige Erzeugnisse / unfertige Leistungen sowie erhaltene Anzahlungen.

Bei offener Saldierung der erhaltenen Anzahlungen werden ebenfalls nur die beiden vorgenannten Positionen im elektronischen Bundesanzeiger offengelegt; zusätzlich werden allerdings die offen verrechneten erhaltenen Anzahlungen unter B. I. Vorräte nachrichtlich ausgewiesen. Der Bilanzleser kann anhand dieser „nachrichtlichen“ Information auch den Bestand der unfertigen Erzeugnisse / unfertigen Leistungen „hochrechnen“.

Bei offener Saldierung werden also im elektronischen Bundesanzeiger mehr Informationen preisgegeben als es – bei unsaldiertem Ausweis – der Fall wäre.

Das Wahlrecht der offenen Saldierung der erhaltenen Anzahlungen auf Bestellungen mit den Vorräten (unfertigen Erzeugnissen / unfertigen Leistungen) nach § 268 Abs. 5 Satz 2 HGB stellt ein probates Mittel dar, die Bilanzsumme des Jahresabschlusses gering zu halten. Als Instrument der besseren Jahresabschlussanalyse oder zurückhaltenderer Informationspolitik ist das besagte Wahlrecht – wie gezeigt – allerdings weniger geeignet.

Schreibe einen Kommentar